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Anforderung:
Klimaneutrale Wohnflächen auf einem Damm im ehemaligen Amsterdamer Holzhafen
Lösung:
Brückenkonstruktion in Form eines Fähranlegers: Vorgefertigte Fassaden-Sandwichelemente aus Beton und Klinker
Nach der tiefgreifenden Transformation seines östlichen Hafengebietes seit der Jahrtausendwende hat die Stadt Amsterdam vor einigen Jahren damit begonnen, jetzt auch die Flächen im nordwestlich gelegenen und weitgehend stillgelegten ehemaligen Holzhafen sukzessive zu einem zentrumsnahen und möglichst klimaneutralen Büro- und Wohnquartier umzuwandeln. Auf sieben neu angelegten „Molen“ entlang des Wasserarms IJ und in direkter Nähe zu dem bereits 2002 nach Plänen von MVRDV fertiggestellten Wohnriegel „Silodam“ entstehen aktuell rund 1 700 neue Wohnungen, etwa 60 000 m² Gewerbeflächen sowie Schulen, Cafés und Restaurants.
Aufgeklappte Blockrandbebauung mit detaillierter Fassade
Markanter Blickfang des neuen Quartiers ist das spektakulär als offenes Tor gestaltete Wohngebäude „De Pontsteiger“, entworfen vom ortsansässigen Büro Arons & Gelauff Architecten. Der 91 m hohe, über einer Fläche von 85 x 85 m errichtete Komplex ruht auf einem achtgeschossigen, dabei um 7 m hoch aufgeständerten Sockelbaukörper. Er öffnet sich U-förmig um eine offene Plaza nach Nordosten zum Wasser. Über den beiden Enden dieser Basis steigen jeweils zwei elfgeschossige Türme mit einer darauf aufliegenden, rund 48 m überspannenden Brückenkonstruktion mit weiteren acht Geschossen in die Höhe. Im Ergebnis wirkt es somit, als sei bei einer geschlossenen Blockbebauung mit Innenhof einfach die eine Hälfte des Blockes um 90 Grad nach oben geklappt worden.
Im Inneren des Neubaus stehen auf 27 Ebenen mit einer Bruttogeschossfläche von 65 000 m² insgesamt 66 exklusive Eigentumswohnungen in den oberen acht Ebenen sowie 252 Mieteinheiten mit jeweils eigener Loggia zur Verfügung. Die Wohnflächen variieren zwischen 65 und 410 m². Im Erdgeschoss wurden zusätzlich vier organisch geschwungene Pavillons mit Glasfassaden als attraktive Ladenlokale unter die aufgeständerte Basis geschoben. Unterhalb des Innenhofes wurde außerdem eine zweigeschossige Tiefgarage integriert.
Ein wichtiger Bezugspunkt für die Entwicklung der ungewöhnlichen Gebäudefigur war die Lage des Grundstückes am Ende eines 200 m langen Damms mitten im Houthaven, von dem aus zwei Fährlinien die nördlich vom IJ gelegenen Stadtteile mit dem Zentrum verbinden: „Mit dem Namen ‚Pontsteiger‘ (Niederländisch: ‚Fähranleger‘) und mit der scheinbar hochgeklappten Formgebung bringen wir diesen Zusammenhang ganz explizit zum Ausdruck“, erklärt Architekt Floor Arons. „Zusätzlich verstärkt wird diese Assoziation durch einen kleinen, speziell für die Bewohner angelegten Bootshafen.“
Konstruktion aus Betonfertigteilen
Ein charakteristisches Element des in Stahlbetonbauweise umgesetzten Neubaus ist die strahlend-helle Fassade, die je nach Ansicht durch symmetrisch angeordnete Fenster oder durch innenliegende Loggien gegliedert ist. Die versetzte Stapelung von jeweils zwei übereinander liegenden Geschossen im Bereich der Loggien erzeugt dabei einen angenehmen Kontrast zur kleinteiligeren Gliederung der sonstigen Lochfassaden. Im Sockelbereich des Gebäudes wurden sämtliche Fassadenabschnitte ebenso wie die Innenwände aus weißem Ortbeton (Hoco Beton) gegossen, in den beiden Türmen kamen alternativ vorgefertigte Fassaden- und Brüstungselemente aus weißem Beton von Hibex zum Einsatz, um einen schnellen und kostengünstigen Baufortschritt zu erreichen.
Die jeweils 300 mm dicken und bis zu 9 x 3 m großen Sandwich-Fassadenelemente nehmen nicht nur die insgesamt 700 Fenster und Fenstertüren mit ihren dunklen Aluminiumrahmen auf, sondern sind für eine optimierte Dämmung sowie Wind- und Luftdichtigkeit auch bereits ab Werk mit einer innenseitigen Dämmung sowie mit speziellen Dichtungsmanschetten ausgestattet (EPDM-Plane und EPDM-Dichtungsmanschette Hertalan Easy Cover). Auf der Baustelle wurden die Elemente mit einem Kran an die vorgesehene Position bewegt, wo sie dann mit Stahlankern an der Stahlbetonkonstruktion des Gebäudes aufgehängt wurden: „Durch die Vorfertigung und die schnelle Montage war es dabei möglich, dass auf der Baustelle ein Geschoss pro Woche realisiert werden konnte“, erklärt Floor Arons.
Lebendig-schimmernde Fassade
Zusätzlichen Reiz erhält die Außenhülle durch die ebenfalls bereits ab Werk in die Betonelemente eingearbeiteten Klinkerriemchen. Insgesamt kamen rund 400 000 Riemchen (65 x 225 mm) zum Einsatz, die abwechselnd im vertikalen bzw. im horizontalen Stapelverband ausgeführt sind.
„Die Entwicklung der Riemchen erfolgte in enger Kooperation mit dem friesischen Traditionsunternehmen Koninklijke Tichelaar, das ausgehend von unseren Vorstellungen und den vorherigen Mock-ups einen Stein mit strukturierter Oberfläche und mit sechs unterschiedlichen Glasuren in Kupfer-, Gold- und Grünschattierungen entwickelt hat“, berichtet Floor Arons. „Im Zusammenspiel bietet die Fassade einen sehr lebendigen, leicht schimmernden Eindruck, der sich je nach Tageszeit und Sonnenstand und ähnlich wie bei einem Chamäleon fortwährend verändert.“ Die Deckenunterseiten im Bereich des Sockels wurden alternativ mit Holz bekleidet, um dem Hochhaus eine warme Atmosphäre zu verleihen und subtil auf die Geschichte der einstigen Holzdocks zu verweisen.
Subtil dynamische Brücke
Eine spezielle Herausforderung bei der Umsetzung des Projekts war die Konstruktion der aufliegenden Brücke zwischen den beiden Türmen. Das Tragwerk wird in diesem Bereich durch vier parallel angeordnete Stahlträgerelemente gebildet, die im 18. und 19. Geschoss auf den Türmen aufliegen und dabei durch eine nach außen durch helle Verkleidungen deutlich sichtbare Diagonalstruktur unterstützt werden. Jedes der vier Elemente ist 48 m lang und 9,5 m hoch, das Gewicht variiert zwischen 56 bis 78 t. Oberhalb des nordwestlichen Turmes wird die Struktur aus optischen Gründen bis an die Gebäudeaußenkante fortgesetzt. Im Zusammenspiel mit den kontrastreich gestalteten Klinkerfassaden ist es den Architekten gelungen, die geometrische Symmetrie des Ensembles aufzubrechen und ganz subtil seine Dynamik zu betonen.
Objekt: Wohngebäude „Pontsteiger“
Standort: Pontsteiger 220, 1013 Amsterdam (NL)
Bauherren: Dura Vermeer Development und De Nijs Devolopment, Rotterdam (NL)
Planung: Arons en Gelauff Architecten, Amsterdam (NL)
www.aronsengelauff.nl
Bauunternehmen: Dura Vermeer Bouw Midden West, Houten (NL)
Tragwerksplanung: Van Rossum, Amsterdam (NL)
Fassadenbau: Rollecate, Staphorst (NL)
TGA-Planung: Hiensch Engineering, Amsterdam (NL)
Bruttogeschossfläche: 65 000 m2
Fertigstellung: März 2019
Architekt Floor Arons: „Durch die Vorfertigung und die schnelle Montage war es dabei möglich, dass auf der Baustelle ein Geschoss pro Woche realisiert werden konnte.“
Die je 300 mm dicken und bis zu 9 x 3 m großen Sandwich-Fassadenelemente sind für optimierten Wärmeschutz sowie Wind- und Luftdichtigkeit bereits ab Werk mit einer innenseitigen Dämmung sowie mit speziellen Dichtungsmanschetten ausgestattet.
Robert Uhde
Studium der Kunst und Germanistik in Oldenburg. Erstes Staatsexamen. Ausbildung zum Fachredakteur für Architektur bei der Verlagsgruppe Rudolf Müller in Köln. Seit 1997 freier Autor für Fachzeitschriften und Tageszeitungen. Eigenes Büro in Oldenburg.
www.robert-uhde.de