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Silikone – die aus Sand gemachten Kunststoffe

Silikone oder auch Siloxane sind vergleichsweise noch „junge“ Kunststoffe. Ob es die Backformen in der Küche sind, der elastische Silikonschlauch im Chemielabor oder in der Medizintechnik, die plastischen Implantate für die Schönheitschirurgie und Orthopädie – die gleichsam aus Sand gemachten Silikone haben aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften ein eigenes Feld für vielerlei Anwendungen gefunden. Doch was sind Silikone und wie werden sie hergestellt? Wer hat sie entdeckt und zur Industriereife entwickelt? Und was unterscheidet Silikone von „gewöhnlichen“ Kunststoffen und worin bestehen ihre Vorteile gegenüber anderen Materialien? Der folgende Artikel liefert einige Antworten auf diese Fragen.

Die Entdeckung und Eigenschaften der Silikone

Die Entdeckung der Silikone geht auf den englischen Chemiker Frederic S. Kipping (1863 – 1949) zurück, dessen Ziel es war, Methylsilanole CH3-Si≡(Hx[OH]y) durch die Hydrolyse von Methylchlorsilanen CH3-Si≡(Clx[OH]y) herzustellen (x+y = 3), ist doch Silizium in der vierten Hauptgruppe des Periodensystem der chemischen Elemente das nächst höhere, homologe Element nach dem Kohlenstoff und demzufolge auch vierwertig. Doch statt der erwarteten Methylsilanole, die den Alkoholen ähnlich und deshalb wasserlöslich sein sollten, erhielt er nur ölige, schmierige und wachsartige Produkte. Dennoch war dieser Misserfolg zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Geburtsstunde der Silikone, deren Weiterentwicklung und Nutzbarmachung eng mit den Namen des deutschen Chemikers Richard G. Müller (1903 – 1999) und des US-Amerikaners Eugene G. Rochow (1909 – 2002) verbunden ist.

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Als Grenzgänger zwischen der organischen und anorganischen Chemie können Silikone mit maßgeschneiderten, teils völlig gegensätzlichen Eigenschaften ausgestattet werden. Sie können fest oder flüssig, hart oder flexibel, elastisch oder plastisch, hydrophil oder hydrophob, elektrisch leitend oder isolierend, transparent oder lichtundurchlässig sein. Sie können Oberflächen hydrophobieren und Schaum stabilisieren oder seine Bildung verhindern – Silikone ermöglichen vieles, was übliche, kohlenstoffbasierte Kunststoffe nicht können.

Die Kettenlänge, welche unter anderem die Eigenschaften der Silikone bestimmt, kann durch den Einsatz von monofunktionellem Trimethylchlorsilan (CH3)3≡Si-Cl und Methyltrichlorsilan CH3-Si≡Cl3 gesteuert werden. Während Trimethylchlorsilan für den Abbruch des Kettenwachstums sorgt, führt das trifunktionelle Methyltrichlorsilan zu Kettenverzweigungen.

Durch weiteres chemisches „Design“, beispielsweise den Austausch der Methylgruppen durch andere Elemente, wie Fluor oder auch organische Reste, entstehen hochspezialisierte Silikone.

Vorteile gegenüber anderen Kunststoffen

Der sicherlich größte Vorteil der Silikone gegenüber „gewöhnlichen“ Kunststoffen auf reiner Kohlenstoff-Basis ist die veränderte Brennbar- und Entzündbarkeit. Kunststoffe, wie Polyethylenterephthalat (PET), lassen sich vergleichsweise schnell entzünden, sie brennen mit rußender Flamme und schmelzen schnell. Silikone hingegen sind deutlich schwerer zu entzünden und wenn sie brennen, dann unter Bildung von Rauch aus Siliziumdioxid sowie Wasser und Kohlenstoffdioxid. Deshalb werden Silikon-Halbzeuge, wie Profile aus Silikonen, Schutzkappen und Silikon-Folien, als Konstruktionswerkstoffe nicht selten den entsprechenden Halbzeugen aus üblichen Kunststoffen vorgezogen.

Ein weiterer Vorteil der Silikonen verdient es, in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden: ihre hohe Beständigkeit gegenüber Ozon und UV-Strahlung. Alle diese Eigenschaften der Silikone waren auch Gründe für ihren umfassenden Einsatz in der Luft- und Raumfahrt, wie etwa beim europäischen Ariane-Projekt.

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Silikone sind jedoch nicht nur schwer entzündlich, die meisten Silikone sind über einen großen Temperaturbereich auch sehr gute elektrische Isolatoren. Deshalb werden in öffentlichen Gebäuden, wie Bahnhöfen und Flughäfen oder auf Schiffen und in Flugzeugen silikonummantelte Brandschutz-Elektrokabel verbaut. Aufgrund ihrer hohen elektrischen Isoliereigenschaften können sie sogar im Bereich der Hochspannungstechnik eingesetzt werden und sichern, dass Elektroisolierungen auch im Brandfall möglichst lange funktionsfähig bleiben.

…. und weitere Anwendungen

Wer durch große Städte spaziert, wie Berlin oder Frankfurt am Main, dem fallen die vielen großen Glasfassaden auf. Silikone gehören, wenn es um moderne Architektur geht, mit zu den „Stammspielern“ unter den modernen Werk- und Kunststoffen. Sie können als Kleber zwischen Metall und Glas fungieren und als „Structural Glazing“ sorgen sie nicht nur für die Stabilität der oft gewagten Konstruktionen, sie prägen zudem das Bild vieler Großstädte und Metropolen auf der Welt.

Etwa die Hälfte aller Silikon-Produkte sind Silikon-Kautschuke und Silikonöle. Letztere kommen als Antischaum- und Trennmittel sowie als Hydrauliköle zum Einsatz.

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Silikone sind chemisch weitgehend inert und antiadhäsiv, so dass sich feste Silikone, die Silikonkautschuke, hervorragend als Ausgangsmaterial für flexible Schlauchleitungen und als Pumpenschläuche zur Förderung von Flüssigkeiten und Lösungen im Labor und Technikum eignen. Diese Eigenschaften machen Silikonschläuche auch für die Lebensmittel-und Getränkeindustrie interessant und darüber hinaus für die Bio- und Medizintechnik, wo sie unter anderem als Beatmungsschläuche zum Einsatz kommen.

In der Pharmaindustrie sorgen platinvernetzte Silikon-Förderschläuche und Silikon-Pumpenschläuche für die saubere Überführung von Chemikalien und Hilfsstoffen in Fermentatoren und andere sterile Produktionsanlagen zur Gewinnung von Arznei-Wirkstoffen, die hohen Anforderungen genügen müssen.

Physiologisch gelten Silikone als unbedenklich, denn sie enthalten keine Weichmacher. Trotzdem sind sie so elastisch, dass hochreiner Silikon-Kautschuk für Implantate sowohl in der Schönheits-Chirurgie als auch in der Rekonstruktiven Chirurgie für die Korrektur von Fehlbildungen oder zur äußerlichen Wiederherstellung von Körperpartien nach Unfällen oder Operationen eingesetzt wird.

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Wegen ihrer hohen Thermostabiliät und Elastizität werden geschlossenporige Silikon-Schaumschläuche im Bauwesen zur Isolierung von Heizungsrohren gegen Wärmeverluste verbaut und ebenso als Kälteisolierungen für Wasserleitungen. Silikon-Isolierschläuche zeichnen sich durch außerordentlich hohe Elastizität aus, sodass sie sich auch für die Ummantelung von eng gebogenen Rohrleitungen bestens eignen. Silikone sind zudem vielfach eingesetzte Dichtungsmaterialien. So zeigen O-Ringe aus Silikonkautschuk gute Beständigkeiten insbesondere gegenüber tierischen und pflanzlichen Ölen, Motorölen, Glykolen und Hydraulikflüssigkeiten.

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Silikone weisen eine hohe Gaspermeabilität auf, sodass Silikonschläuche im erheblichen Maß gasdurchlässig sind, ganz besonders für Kohlenstoffdioxid, aber auch für andere Gase. Daher sind die Silikonschläuche für die Durchleitung von Gasen ungeeignet. Dieser Nachteil kann aber für die Begasung von Flüssigkeiten nutzbar gemacht werden.

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Und schließlich haben Silikone inzwischen auch in fast jedem Haushalt Einzug gehalten, als Backformen für Kuchen und andere süße Leckereien aus dem Ofen oder als Food-Platten – dem Erfindergeist sind hier keine Grenzen gesetzt.

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Silikone in der Umwelt

Silikone sind langlebige, chemische Syntheseprodukte. Sie können über verschiedene Wege in die Umwelt gelangen, als flüssige Silikonöle über die Abwässer oder als feste Kunststoffabfälle über den Haus- oder Industriemüll. Das Gefährliche für die Umwelt daran: sie sind zwar nicht giftig, aber über natürliche Prozesse nicht abbaubar. Studien untersuchen derzeit ihr Gefährdungspotential und sollen Aufschluss über die bereits erfolgte Verbreitung von Silikonen in der Umwelt geben.

Die Verbrennung von Silikonen, die mit dem Müll in Verbrennungsanlagen gelangen, schädigen durch „Verglasung“ die Anlagen, weil sie nicht, wie andere Kunststoffe, zu Kohlenstoffdioxid und Wasser verbrennen, sondern zu feindispersem Siliziumdioxid, das auf kühleren Teilen der Anlagen aufschmilzt und sich da mit weitreichenden Folgen verfestigt. Zudem ist die Gefahr nicht auszuschließen, dass SiO2-haltiger Feinstaub aus solchen Anlagen in die Umgebungsluft gelangt.

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Die Variationsmöglichkeiten hinsichtlich Vernetzungsgrad und chemischer Zusammensetzung machen Silikone besonders attraktiv für ihren Einsatz. Der Chemiker kann hier einen Kunststoff nach Maß erschaffen und ihn optimal anpassen. Kaum ein anderer Kunststoff erfuhr deshalb in den letzten Jahren so einen populären Aufschwung, wie die Silikone. Doch die damit verbundenen Umweltprobleme harren bislang einer befriedigenden Lösung.